In erträumten Türmen
läuten Glocken Mirakel
Läden fiebern
aus Drehtüren rollen Lieder
in den Tumult
Tannen lächeln
elektrische Liebe
Taube weihnachtsweiß
deine Botschaft
in welchem Reich
freundlich aufgenommen
auf welcher Tanne wächst
dein Gefieder
Die verschollenen Könige
kommen heute nach New York
mit magischen Geschenken
Sie pilgern nach Harlem
zu den Spirituals
verbrüdern sich im Hafen
mit der Mannschaft gescheiterter Schiffe
verloben sich in einer Bar
mit Branntweinbräuten
In imaginären Türmen
läuten Glocken Mirakel
(Rose Ausländer)
1921 wanderte Rose Ausländer mit gerade mal 20 Jahren aus dem rumänischen Czernowitz in die USA nach New York aus, wo sie bis 1927 mit ihrem damaligen Ehemann Ignaz Ausländer lebte. Irgendwann in dieser Zeit muss Rose Ausländer unter dem Eindruck des modernen, blinkenden New Yorker Stadtlebens dieses Gedicht geschrieben haben.
Wie aktuell ihre Zeilen doch in unseren Ohren im Jahre 2018 klingen. Wie zart, beinahe liebevoll sie die Hektik, das schrille und schnelle Vorweihnachtsgetümmel beschreibt. Wie positiv und optimistisch.